Rezension


Alles ist Gnade
Leben und Dienst des Evangelisten Erich Bonsels 1912–1984

Eschenburg/Hückeswagen (Verbreitung der Heiligen Schrift / CSV) 2004
229 Seiten. ISBN 3-89287-660-6. € 9,50


Auch 20 Jahre nach seinem Tod ist Erich Bonsels in den Kreisen der „geschlossenen Brüder“ als Evangelist, Verfasser von Traktaten, Begründer der „(Aktion) Verbreitung der Heiligen Schrift“, Herausgeber eines Altenbriefs und nicht zuletzt auch als „dienender Bruder“ noch in guter Erinnerung. Dennoch muss das Erscheinen einer Biografie eher ungewöhnlich genannt werden, schreckte man doch bei den „geschlossenen Brüdern“ wegen der Gefahr der Menschenverherrlichung vor umfangreichen Lebensbeschreibungen bisher eher zurück. Auch die Herausgeber des vorliegenden Bandes meinen sich im Vorwort noch ausdrücklich von menschenverherrlichenden Absichten distanzieren zu müssen. In jedem Fall handelt es sich hier wohl um die erste in Buchform erschienene Biografie eines „geschlossenen Bruders“ seiner Generation.

Erich Bonsels wurde am 18. Januar 1912 in Barmen geboren. Seine Eltern stammten beide aus schwierigen sozialen Verhältnissen und fanden erst einige Jahre nach ihrer Heirat zum Glauben; zwei Jahre später schlossen sie sich den „geschlossenen Brüdern“ an. Bonsels wuchs in Solingen auf, wo er im Alter von 11 Jahren durch Paul Schwefel, einen bekannten Evangelisten der „geschlossenen Brüder“, zur Bekehrung kam. Er absolvierte eine Lehre zum Langmesser-Schleifer, wurde jedoch in der Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre arbeitslos und wanderte in die Niederlande aus, wo er als Bäcker, Lagerverwalter und später als selbständiger Einzelhändler tätig war. Im Zweiten Weltkrieg wurde er zur Wehrmacht eingezogen, weil er sich weigerte, mit der Gestapo zusammenzuarbeiten. Er geriet in russische Kriegsgefangenschaft, konnte jedoch fliehen und schlug sich nach Solingen durch, wo seine Familie – er hatte bereits 1937 in den Niederlanden geheiratet – wieder zu ihm stieß. Bonsels kehrte in seinen erlernten Beruf zurück und begann daneben mit evangelistischer Arbeit, zunächst vor allem an Kindern, dann auch an Erwachsenen und ab 1949 zusätzlich mit Hilfe von Verteilschriften. 1958 gab er seinen Beruf auf und widmete sich ganz dem evangelistischen Dienst. Zu den bereits genannten Tätigkeitsbereichen kamen Hafen- und Gefängnismission hinzu. Bonsels’ Schriftenlager – ab 1963 trugen seine Traktate die Aufschrift „Aktion Verbreitung der Heiligen Schrift“ – befand sich anfangs in verschiedenen Privathäusern, bis es sich 1973 mit mehreren nebenberuflichen, später hauptberuflichen Mitarbeitern dauerhaft in Eschenburg-Eibelshausen niederließ (ein Jahr zuvor war Bonsels nach Dillenburg gezogen). 1970 begann Bonsels mit der Herausgabe eines „Alten-, Kranken- und Freundesbriefs“; in den folgenden Jahren trat er auch mit umfangreicheren Veröffentlichungen (u.a. über die Bücher Hiob und Ruth) hervor. Erich Bonsels starb am 17. April 1984 in Dillenburg.

An der vorliegenden Biografie fällt als Erstes das Fehlen einer Autorenangabe auf: Weder auf dem Umschlag noch auf dem Titelblatt wird ein Verfassername genannt. Dem Vorwort ist dann zu entnehmen, dass Bonsels’ Sohn Erich Bonsels jun. „die Einzelheiten niederschrieb“ (S. 5), wozu er von den Herausgebern allerdings erst überredet werden musste. Unterzeichnet ist das Vorwort von Friedhelm König (einem Evangelisten der „geschlossenen Brüder“) und Heinz-Walter Räder (einem leitenden Mitarbeiter der „Verbreitung der Heiligen Schrift“); auf sie geht wohl auch die endgültige Textgestalt zurück.

Das Buch zeichnet Bonsels’ Lebensweg in 15 Kapiteln weitgehend chronologisch nach. Die Ereignisse erscheinen gut recherchiert (so werden die Namen auch weniger bekannter „Brüder“ fast immer mit Lebensdaten versehen); Originalzitate aus Briefen und Berichten Bonsels’ (typografisch gut vom übrigen Text abgehoben), Faksimiles einzelner Veröffentlichungen sowie etwa 45 Fotos verleihen dem Dargestellten Authentizität und Anschaulichkeit. Besonders beeindruckend sind die Kriegserlebnisse Bonsels’ (er entrann mehrmals auf wunderbare Weise dem Tod), die erstaunlichen Gebetserhörungen in finanziellen Notsituationen (hier wird man an ähnliche Ereignisse im Leben Georg Müllers erinnert) und einige der Bekehrungsgeschichten, die im zweiten Teil des Buches erzählt werden.

Auch wenn das Buch in erster Linie erbaulichen und keinen wissenschaftlichen Zwecken dient, ist der Stil doch im Großen und Ganzen sachlich. Zwar erscheint Bonsels (abgesehen von einer leisen Kritik an seiner übermäßigen Strenge in der Kindererziehung; S. 131) stets in einem positiven Licht, aber den Vorwurf hagiografischer Verehrung, wie sie für Bücher dieser Art sonst oft charakteristisch ist, kann man dieser Biografie kaum machen. Sie entspricht in ihrem eher nüchternen Ton gut dem im Vorwort beschriebenen Charakter des Dargestellten: „ruhig, natürlich und ohne Heiligenschein“ (S. 5). Nur gelegentlich gleitet die Sprache ins Sentimentale oder Triviale ab, so z.B. gleich im allerersten Absatz (S. 11). Von geringem sprachlichem und künstlerischem Wert sind allerdings auch die eingestreuten Gedichte Bonsels’, die im Wesentlichen aus unter den „geschlossenen Brüdern“ gebräuchlichen Redewendungen bestehen (z.B. „zu wandeln auf dem schmalen Pfad, / das ists, was ich begehr“; S. 38).

Interessant für die Brüdergeschichtsforschung ist das Buch vor allem deshalb, weil es auch die Entstehungsgeschichte der „Verbreitung der Heiligen Schrift“ beschreibt, inzwischen wohl eines der bedeutendsten Schriftenmissionswerke in Deutschland, das auch von Christen außerhalb der „geschlossenen Brüder“ gern genutzt wird. Der Aufbau dieses Werkes war offenbar nicht ganz unumstritten, wie auf S. 213f. angedeutet wird:

„Die Entwicklung der Arbeit in Eibelshausen blieb nicht verborgen und setzte zeitweise einen lebhaften Gedankenaustausch unter Brüdern in Gang. Aber bald schon erkannte man, dass es der Herr war, der hier wirkte. Es galt, immer wieder deutlich zu machen, dass es dringlicher denn je sei, das gedruckte Evangelium zu verbreiten und es in großem Umfang allen Arbeitern in Seinem Weinberg zur Verfügung zu stellen. [...] Die von Eibelshausen angebotenen Schriften sollten nicht nur an bekannte Geschwister gehen, sondern an alle entschiedenen Christen, einerlei wo sie ihre geistliche Heimat haben.“

Diese zurückhaltenden Formulierungen scheinen darauf hinzudeuten, dass einerseits die Traktatarbeit überhaupt, andererseits auch die Abgabe an „außenstehende“ Christen bei manchen auf Kritik stieß. Bedenken wurden außerdem gegen das Wort „Aktion“ im Namen des Missionswerkes geäußert; auf diese Kritik reagierte man 1979 mit der Umbenennung in „Verbreitung der Heiligen Schrift“ (S. 167).

Dass Ausdrücke wie „geschlossene Brüder“ oder auch nur „Brüderbewegung“ in dem Buch nicht vorkommen, ist angesichts der Probleme der „geschlossenen Brüder“ mit einer Gruppenidentität verständlich. Stattdessen wird zu gängigen Umschreibungen gegriffen. Bei der ersten Erwähnung der „Brüder“ ist von „christlichen Versammlungsstunden“ die Rede, wo man nach dem „biblischen Grundsatz“ von Mt 18,20 zusammenkam (S. 20); eine Seite später genügt der Hinweis: „Schließlich kehrten sie [Bonsels’ Eltern] dahin zurück, wo man sich so schlicht versammelte.“ Von Bonsels’ Schwiegereltern heißt es, dass sie „den Weg zu dem Platz [fanden], ‚wo zwei oder drei zum Namen Jesu hin‘ versammelt sind“ (S. 44). Eine bei einer Evangelisation Bonsels’ zum Glauben gekommene Frau fragte, „ob sie sich nun den Christen anschließen müsste, die sich – wie gesagt wurde – mit allen Kindern Gottes verbunden wissen und sich allein im Namen des Herrn Jesus versammeln“ (S. 187). Bonsels’ Antwort darauf ist einigermaßen erstaunlich: Er riet ihr, wieder in ihre Kirche zurückzugehen, „um dort zu sagen, ‚wie viel der Herr an ihr getan habe‘“ (vgl. Mk 5,19f.), und zugleich „unter Gebet die Bibel gründlich zu lesen. Der Heilige Geist, den sie nun empfangen habe, würde ihr ganz gewiss den Weg zeigen, der nach Gottes Wort der Richtige sei“ (S. 187f.). Der letzteren Empfehlung lag zweifellos die Erwartung zugrunde, dass die Frau den Weg der „geschlossenen Brüder“ als den richtigen erkennen würde; bedenkt man aber, dass viele Christen die Bibel durchaus „unter Gebet gründlich lesen“, ohne diesen Weg zu finden, muss man Bonsels’ Rat doch als recht unverbindlich bezeichnen.

In gewisser Weise ist die zitierte Empfehlung Bonsels’ allerdings auch repräsentativ für die ungewöhnlich weitherzige Haltung des gesamten Buches gegenüber „andersdenkenden“ Christen: Das „exklusive“ Selbstbewusstsein scheint nur an wenigen Stellen durch (z.B. „Einen besseren Platz hatten sie nicht gefunden“; S. 21); ansonsten stößt man immer wieder auf positive Erwähnungen von Christen aus Kirchen und Freikirchen (z.B. „Bruder Pfarrer Förster“, S. 102), ohne dass irgendwelche Kritik an ihrem „falschen kirchlichen Weg“ (wie es im heutigen Sprachgebrauch der „geschlossenen Brüder“ heißt) geübt würde. Dies gilt sogar für „gläubige Katholiken“ (S. 59, 140–142). Auch die Namen von Personen, die zu Bonsels’ Lebzeiten noch zu den „geschlossenen Brüdern“ gehörten, sich später aber von den „exklusiven“ Grundsätzen abwandten, werden völlig unverkrampft genannt (Gerhard Heide, S. 181f. [mit Foto!]; Walter Mücher, S. 229). Alles dies ist in „geschlossenen“ Kreisen nicht unbedingt alltäglich. Offensichtlich bewahrheitet sich auch hier die alte Erkenntnis, dass die Arbeit am Evangelium den Blick auf das verbindende Zentrum des christlichen Glaubens lenkt und Unterschiede in Nebenfragen eher unwichtig werden lässt. Nicht zuletzt deswegen handelt es sich bei dieser Biografie Erich Bonsels’ um ein Buch, das nicht nur von „Insidern“, sondern von allen interessierten Christen mit Gewinn gelesen werden kann.

Michael Schneider

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