Rezension


Edwin Cross:
The Irish Saint and Scholar
A Biography of William Kelly
London (Chapter Two) 2004
181 Seiten. ISBN 1-85307-130-7. £ 19.95


Obwohl seit dem Tod William Kellys bereits ca. 100 Jahre vergangen sind, üben seine umfangreichen, wissenschaftlich gründlichen und vielfältigen Publikationen sowohl auf Gläubige innerhalb der Brüderbewegung als auch darüber hinaus auf Bibelstudierende und Historiker des Evangelikalismus des 19. Jahrhunderts noch immer einen bleibenden Einfluss aus. Mit diesem Buch legt Edwin Cross erstmals eine Biografie Kellys vor, die dem Leser sowohl die Frömmigkeit und Heiligkeit von Kellys persönlichem Leben als auch seinen weithin anerkannten, gewichtigen wissenschaftlichen Intellektualismus zeigen soll.

Kelly (1821–1906) war wie Darby Absolvent des Trinity College Dublin, wo er sich in den alten Sprachen auszeichnete. Er traf Darby zuerst 1845, kurz vor der schädlichen Spaltung in „Exklusive“ und „Offene Brüder“ (Bethesda 1848), und blieb daher von den schmerzlichen Ereignissen früherer Jahre unberührt. Sein Geschick als Kirchenführer war enorm; Coad bemerkt, dass er innerhalb des exklusiven Flügels als herausragender Führer und als Gebildetster unter den Schülern Darbys bekannt war. Sein theologischer und lehrmäßiger Einfluss war gewaltig; als Mann von großer Gelehrsamkeit spielte er eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung und Popularisierung von Darbys Theologie. Er gab The Prospect (1849–1850) und The Bible Treasury (1856–1906) heraus und schrieb Beiträge für den Christian Annotator; auch stellte er die Collected Writings of J.N. Darby zusammen und gab sie heraus. Neben vielen Broschüren und Traktaten verfasste er etwa 300 Kommentare über alle biblischen Bücher, die er dafür häufig auf wirkungsvolle Weise neu übersetzte.

Insgesamt fand ich dieses Buch angenehm und leicht zu lesen. Zuweilen fängt der Autor etwas von der Aufregung und Frische jener Anfangsjahre ein, z.B. wenn er Kellys erstes Erlebnis einer Zusammenkunft zum Brotbrechen oder seine erste Begegnung mit Darby beschreibt. Durch das Buch zieht sich auch eine interessante Parallele zwischen der Entwicklung der frühen Brüderbewegung und der der Oxford-Bewegung. Man fragt sich allerdings, ob Kelly und seine Brüder sich so positiv über Keble, Pusey und die Traktarianer geäußert hätten. Spurgeon kommt hier schlechter weg als Pusey und Keble!

Zu Beginn legt Cross sein Programm dar. Er will keine Biografie eines Menschen „mit all seinen Fehlern“ schreiben oder „Unzulänglichkeiten und Schwächen ausbreiten“. Ich frage mich daher, ob dies eine wirklich objektive und ehrliche Biografie sein kann. Sich der Schwächen eines Menschen, ja der Beschränkungen der menschlichen Natur im Allgemeinen bewusst zu sein ist ja nichts Schlimmes und führt nicht notwendigerweise zu einem negativen Urteil über den Charakter. Unterhaltsam fand ich immerhin ein Zitat des Autors „Spectator“ aus dem 19. Jahrhundert, in dem auf humorvolle Weise der Gesang der Brüder in Blackheath beschrieben wird, sowie einige andere Beispiele, insbesondere in Kapitel 4, wo der „wirkliche“ Kelly sichtbar wird und der Autor dazu beiträgt, sein Thema persönlicher zu gestalten.

Das Problem jeder Veröffentlichung über Kelly ist, dass er immer als Nummer 2 erscheint, als jemand, der die zweite Geige nach Darby spielte. Cross unternimmt jedoch den Versuch, gegen dieses Ungleichgewicht anzugehen, und zuweilen gewinnt man das seltene Bild eines Kelly, der als eigenständiger Mensch, Gelehrter und Gläubiger aus dem Schatten Darbys heraustritt. Eine erfrischende Überraschung ist es zu sehen, dass Kelly mit E.B. Elliot befreundet war, auch wenn die wesentlichsten Erwähnungen Elliots in Kellys Schriften ablehnender Art sind (siehe z.B. W. Kelly, „Answers to Questions“, The Bible Treasury 2 [März 1898], S. 47; The Bible Treasury 1 [August 1897], S. 319). Ebenfalls interessant ist die in Kapitel 4 untersuchte Verbindung zwischen Kelly und dem amerikanischen Dispensationalisten Gaebelein, zeigt sie doch eine frühe Ausbreitung der Brüder-Eschatologie über den Atlantik nach Nordamerika.

Cross’ Verwendung seiner Quellen ist, wie man annehmen kann, gründlich und erschöpfend. Am meisten erfreut die Heranziehung von Quellen wie dem Guardian, der Baptist Times, der Bibliotheca Sacra, der Exeter-Zeitungen Express und Echo sowie der Western Morning News, die eine ausgezeichnete Ergänzung zu den näher liegenden Quellen wie The Prospect, The Bible Treasury usw. bilden.

Erfreulich fand ich auch, dass es der Autor weitgehend vermeidet, die lange, ermüdende und unnötige Geschichte der Spaltungen und Uneinigkeiten darzustellen, die insgesamt nur dazu dient, das positive Wirken der Bewegung zu schwächen. In Kapitel 4 beginnen sich die alten Themen wieder einzuschleichen, aber im großen Ganzen vermeidet das Buch diese Fallgruben.

Die bleibende Frage, die das Buch bei mir zurückgelassen hat, ist die nach der Berechtigung des Genres an sich. Kann die Biografie eines solchen Mannes geschrieben werden, ohne dass sie an die mittelalterliche Gattung der Hagiografie grenzt? Diese Biografie beschreibt das Leben Kellys in einer Sprache, die unweigerlich dazu führen wird, dass ihm ein geradezu legendärer, mythischer Status erhalten bleibt, einer Sprache, die sich mit wahrer Frömmigkeit sicherlich nicht verträgt. Ich frage mich, ob ein demütiger, frommer, zurückhaltender Mann wie Kelly eine Biografie wünschen würde, die den Menschen nicht „mit all seinen Fehlern“ zeigt und keine „Unzulänglichkeiten und Schwächen ausbreitet“. Allerdings bin ich sicher, dass wir sowohl von dem Gelehrten als auch von dem Glaubensmann Kelly heute noch viel lernen können.

James Harding

[mit freundlicher Genehmigung übersetzt aus: Brethren Archivists & Historians Network Review 4/1 (2006), S. 76–79]

Lesen Sie auch die Rezension der deutschen Übersetzung dieses Buches (Hückeswagen 2010).


Links zu weiteren Rezensionen dieses Buches:
Precious Seed 1/2006

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